Führen in emotionalen Zeiten

Anita Freismuth-Jauschneg ist die Autorin

# Interview zum Thema

Anita Freismuth-Jauschneg, MA hat Interdisziplinäre Gerontologie studiert. Sie hat mehr als 20 Jahre Führungserfahrung in der Sozialwirtschaft, ist E.D.E. Heimleiterin, Seelsorgerin, Trainerin und Vortragende in der Jugend- und Erwachsenenbildung. Sie begleitet Einrichtungen bei Leitbilderstellungen und der Entwicklung von Betreuungsphilosophien. Außerdem ist Sie Trainerin bei EINS22.
 

EINS22: Anita du schreibst in deinem Artikel sehr reflektiert über deine Führungserfahrungen in emotionalen Zeiten. Dabei geht es auch um gelebte Empathie. Wieso ist das gerade in Krisenzeiten noch bedeutender?
Anita Freismuth-Jauschneg: Für mich ist ein reflektierter empathischer Umgang mit den Menschen, mit denen ich arbeite, eine Grundvoraussetzung für gelingende Zusammenarbeit. Das sagt sich leicht und „Schönwetter-Empathie“ ist auch keine große Herausforderung. Empathisch zu bleiben ist in Krisensituationen jedoch einerseits besonders bedeutsam und gleichzeitig auch besonders fordernd. 
Als Führungskraft bin ich in solchen emotionalen Zeiten eben gefordert, die Emotionen und unterschiedlichen Herangehensweisen anzuerkennen und zugleich darauf zu achten, dass diese in keine Lähmung, keine Kränkungen und weitere Verunsicherungen führen.

EINS22: Wie kann man es schaffen, in ganz emotionalen Zeiten als Führungskraft Sicherheit zu geben?
Anita Freismuth-Jauschneg: Emotionale Zeiten bringen für die meisten Menschen auch Unsicherheiten mit sich. Die Situation ist neu, man steht unter Schock, Gewohntes verändert sich … alles Situationen, die für Unsicherheit sorgen.
Hier ist man gefordert wieder ein Stück Sicherheit herzustellen bzw. zu geben. 
In dem man z.B. 
•    ausreichend Information rund um die Geschehnisse gibt, 
•    für Raum und Zeit sorgt, in dem darüber gesprochen werden kann,
•    für Klarheit über die nächsten Schritte sorgt,
•    den Spagat zwischen Flexibilität und Stabilität schafft.

EINS22: Die letzte Überschrift in deinem Artikel sagt: Selbstreflexion! Was bedeutet das für dich in diesem Zusammenhang?
Anita Freismuth-Jauschneg: Ja, man ist auch selbst meist in solchen Krisenmomenten sehr berührt oder betroffen. Zugleich muss man handlungsfähig sein und bleiben. Das fordert sehr und dabei können Fehler passieren. Daraus gilt es zu lernen!

#Impuls zum Thema

Führen in emotionalen Zeiten

Krankheiten, Tod, unerwartete Schicksalsschläge, eine Pandemie – das alles lässt sich nicht planen und vorbereiten und doch bin ich als Führungskraft oder Leitung einer Einrichtung gefordert in diesen emotionalen Zeiten Klarheit und Sicherheit zu vermitteln und eine Richtung zu weisen. 
Führung in emotionalen Zeiten erfordert eine Mischung aus Einfühlungsvermögen, Authentizität und strategischem Denken – wunderbare Eigenschaften, die spätestens zu diesem Zeitpunkt aktiviert werden sollten. Dazu kommt die Herausforderung, dass wir als Führungskräfte ja auch selbst meist eine große Betroffenheit und manch-mal Unsicherheit in solch besonderen Zeiten verspüren.  
Und besonders herausfordernd wird es, wenn ich als Führungskraft selbst von Schicksalsschlägen, Krankheit oder einem Todesfall in meinem nahen Umfeld betroffen bin.  
Nun: es gibt keinen Leitfaden, keine Check-liste, wie wir derartige Herausforderungen bewältigen können. „Die Erfahrung kommt mit den Jahren!“, wurde mir als damals junge Leiterin einmal gesagt. Und so ist es wohl auch.
Trotzdem gibt es einige praktische Tipps oder Strategien, die helfen, gut durch unterschiedliche Herausforderungen zu gehen. Und optimalerweise gemeinsam mit dem Team.

Empathie leben

Als Führungskraft sollte ich grundsätzlich immer empathisch auf die Bedürfnisse meiner Mitarbeitenden eingehen. In herausfordernden Zeiten ist das wohl nochmal entscheidender. Reaktionen auf große und kleine Krisen sind so vielfältig wie wir Menschen eben sind – und der Umgang damit ebenfalls. Die Corona-Pandemie ist in diesem Punkt eine gute Lehrmeisterin gewesen. Ängste und Sorgen in Zeiten einer Pandemie sind sehr unterschiedlich. Das kann von Gelassen-heit bis zur Panik reichen. Und jede Emotion ist wirkliches Empfinden von Einzelpersonen und als solche ernst zu nehmen. Ehrliches Verständnis, aber auch Klarheit sind nötig. Einerseits um ein Team nicht völlig zu spalten und andererseits, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Als Führungskraft muss man fähig sein, Empathie vorzuleben – um als Vorbild-funktion einen Standard im Umgang miteinander zu setzen. Und dann gilt es gemeinsam den Rahmen bzw. die Struktur anschauen: 
•    was ist notwendig, dass alle gut weiterarbeiten können, 
•    wie kann Sicherheit vermittelt werden, 
•    wo ist jede Person mit ihren:seinen Fähigkeiten gut eingesetzt.

Individuelle Unterstützung bieten

Schicksalsschläge von Einzelnen oder innerhalb eines Teams oder eines Unternehmens machen unterschiedlich betroffen und brauchen daher auch unterschiedlichen Umgang damit. Für Führungskräfte heißt das individuelle, bestmögliche Unterstützung anzubieten. 
Als Beispiele: 
•    In Corona-Zeiten wurde zusätzliches Personal eingestellt. 
•    Im Fall einer Krankheit kann ein veränderter Aufgabenbereich oder eine andere Arbeitszeit vereinbart werden - so dass ein. Weiterarbeiten möglich ist. 
•    Bei Ausfall von Kinderbetreuung kann der Dienstplan geändert werden.
•    Persönliche Gespräche zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden können bei Bedarf und Wunsch hilfreich sein.
Bei all diesen Möglichkeiten ist die Kommunikation im Team besonders wichtig! So können Konflikte vermieden und vermeintliche Bevorzugungen verhindert werden.

Führungskräfte sind Menschen mit Emotionen, die nicht auf alles sofort eine Antwort wissen müssen.

Authentizität leben

„Als Führungskraft authentisch bleiben“ – das sagt sich stets leicht. Manchmal gibt es Vorkommnisse (z. B. der Suizid oder die Krebserkrankung einer Kollegin), die auch bei mir als Führungskraft eine starke Betroffenheit auslösen. Authentisch sein bedeutet für mich in diesem Fall, die eigene Hilflosigkeit oder Unsicherheit zur Sprache zu bringen, die durch unerwartete Schicksalsschläge ausgelöst werden, denn auch wir Führungskräfte sind Menschen mit Emotionen, die nicht auf alles sofort eine Antwort wissen. Aber indem die Situation und die Empfindungen ausgesprochen werden, eröffnet sich die Möglichkeit gemeinsam Lösungen zu finden, wie wir bestmöglich mit der aktuellen Situation umgehen können. 
Klar ist: totschweigen ist keine Lösung!

Flexibilität zeigen

Wenn wir mit persönlichen Schicksalsschlägen konfrontiert sind, ist es wichtig, flexibel zu bleiben und gemeinsam Lösungen zu finden. Da ist es dann eben nicht möglich, dass alles so weitergeht, wie es „immer war“. Durch eine schwere Erkrankung oder den Tod einer Kollegin geht eben nicht alles gleich weiter, der Alltag ist massiv unterbrochen. Es braucht Zeiten des Redens, des Austausches und Rituale, die den neuen Alltag erleichtern. Zugleich muss der Betrieb auch weitergehen, man kann sich nicht dauerhaft von Schmerz, Trauer, Panik und Entsetzen lähmen lassen.  Führungspersonen führen ihr Team durch diese schwierigen Zeiten, finden gemeinsame Rituale und Strategien und setzen das dann gemeinsam um. 
Bedeutsam sind in diesen Situationen auch Aussprachemöglichkeiten, Austauschformate, Reflexionseinheiten oder Befindlichkeitsrunden (z. B. bei Teambesprechungen mit Moderation).

Grenzen respektieren

Oft zeigen sich gerade in Krisenzeiten unterschiedliche Qualitäten, aber auch Grenzen der Möglichkeiten einzelner Personen. Diese dann gut einzusetzen ist eine Führungskunst. Nicht einfach, aber das muss Führung ja auch nicht immer sein. Die große Aufgabe ist, Strukturen zu schaffen, um einerseits Grenzen zu respektieren, Sorgen und Ängste ernst zu nehmen, aber andererseits auch darauf zu achten, dass der Alltagsbetrieb (evtl. mit geänderten Abläufen) weitergeführt werden kann.

Selbstreflexion und Selbstfürsorge

Krisenmomenten und machen betroffen. Zugleich muss man handlungsfähig sein und bleiben. Das fordert sehr und dabei können Fehler passieren. Fehler gehören zum Arbeitsleben - mit Hilfe von Selbstreflexion können wir daraus aber für die Zukunft lernen. 
Selbstfürsorge ist gerade in emotionalen Zeiten etwas, wofür man sich Zeit nehmen soll – gerade auch als Führungskraft. 
Es muss mir selbst gut gehen, damit ich mein Team gut durch herausfordernde Zeiten lotsen kann und handlungsfähig bleibe. Indem wir gut darauf achten, wo unsere Kraftquellen sind, wie wir zu positiver Energie kommen, sind wir für unsere Kolleginnen und Kollegen ein Vorbild. Und regen so dazu an, dass auch sie darauf achten Selbstfürsorge aktiv zu praktizieren.

Text: Anita Freismuth-Jauschneg, 2024

Literaturhinweise:

•    Goleman, Daniel; Boyatzis, Richard; McKee, Annie: Emotionale Führung (Verlag Ullstein)
•    Purps-Pardigol, Sebastian: Führen mit Hirn (Campus Verlag)
•    Schrör, Torsten: Kraftvoll führen in Krisenzeiten (Verlag Springer Gabler)
•    Krise: Gefahr oder Chance?  In: Langmaack, Barbara; Braune-Krickau, Michael: Wie die Gruppe laufen lernt (Beltz Verlag)
 

EINS22:Impulse zum Thema "Führen in emotionalen Zeiten" zum Download

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